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Hintergrund: Artensterben Oberrhein
Heute (6. Mai) wird die IPBES, der UN-Weltrat für biologische Vielfalt, seinen neuen Report veröffentlichen. Das ist Grund genug das Thema auch auf der regionalen Ebene darzustellen.

Die Ursachen für das große globale und regionale Artensterben und für den Klimawandel sind vielfältig und doch lassen sie sich zu einem Bild zusammenfügen. Wir leben in einer Zeit der global organisierten Gier und einer Endzeit exponentiellen wirtschaftlichen Wachstums im begrenzten System Erde und verwandeln die vielfältige Welt in eine große einheitliche Fabrik. In eine Agrar-Fabrik, eine Fabrik-Fabrik, eine Konsum-Fabrik und eine Wohn-Fabrik, in der zunehmend übersättigte Menschen immer unzufriedener werden. Wir zerstören die Erde für dummen Überkonsum und der Rest der Welt will genauso verschwenderisch leben wie wir. Die meisten der angebotenen Problemlösungsansätze von Politik und Medien sind "putzig" angesichts der Dimension der Probleme. In Friedenszeiten werden in Deutschland die Rüstungsausgaben auf 85 Milliarden Euro (85.000.000.000) verdoppelt und die Überlebensausgaben (Artensterben, Klimakatastrophe) werden vernachlässigt.

Die Artenvielfalt ist nicht nur in Europa und in weit entfernten, exotischen Ländern bedroht,
sondern auch hier vor unserer Haustür, am Oberrhein, in Südbaden und im Elsass. Darum wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auch auf bedrohte Feldlerchen und Rebhühner, auf den vom Aussterben bedrohten großen Brachvogel und den Kiebitz lenken, auf die Verrummelung der Natur am Feldberg und im Taubergießen, auf die Gefährdung der Naturschutzaspekte des Integrierten Rheinprogramms und auf das aktuelle, klimabedingte Waldsterben. Raubbau an Natur und Umwelt, insbesondere durch Agrargifte und den enormen Flächenverbrauch war und ist immer auch ein Thema in der so genannten „Ökoregion“ am Südlichen Oberrhein und die Probleme nehmen massiv zu.

Der Schwarzwald mit seinen Vorbergen,
die Vogesen, der Kaiserstuhl, die Rheinauen, die Elzwiesen und das elsässische Ried: Manche Gebiete am Oberrhein gehören zu den schönsten und wertvollsten Naturlandschaften Europas, mit einer faszinierenden und reichhaltigen Flora und Fauna.

Die letzten Jahrzehnte
waren keine gute Zeit für die Artenvielfalt am Oberrhein, in Südbaden und im Elsass. Die größten Landschaftszerstörungen gab und gibt es insbesondere in der Rheinebene. Durch den Druck der Globalisierung auf die immer noch kleinräumige, südbadische Landwirtschaft werden die Naturflächen kleiner und zerstückelt, Bäume und Hecken werden weniger. Flächenverbrauch, Zersiedelung und Verscheußlichung der Landschaft haben massiv zugenommen und gehen ungebremst weiter. Dazu kommen immer neue Straßen, der klimaschädliche Autobahnausbau und auch die geplante neue Bahntrasse wird massive Naturverluste bringen, die auch durch sogenannte „Ausgleichsmaßnahmen“ nicht kompensiert werden können. Der menschengemachte Klimawandel zerstört im Elsass und in Baden die Wälder. Während an anderen Stellen der Republik die Bevölkerung bereits abnimmt, hält der Flächenverbrauch in der Region zwischen Schwarzwald und Vogesen an. Durch die Metropolregion Oberrhein und die Wucherungswünsche der Politik werden sich die Probleme noch verstärken.

Die Tendenz zur industriellen Landwirtschaft
führt in Südbaden zu einer zunehmenden, großflächigen Maismonokultur. Wo früher eine artenreiche Acker-, Wiesen- und Streuobstlandschaft war, steht heute häufig giftgeduschter Mais. Viele der in der Landwirtschaft eingesetzten Spritzmittel und Gifte sind ein Grund für den massiven Rückgang der Artenvielfalt auf Ackerböden und in deren Umgebung. Erschreckend ist die Fernwirkung von Gift und Dünger, bis in weit entfernte Naturschutzgebiete hinein. Wir leben in Zeiten, in denen es den Bienen in den Städten besser geht als auf dem Land.

Vogelsterben
Feldlerche und Rebhuhn, Grauammer und Wachtel, einst häufige Arten in der Agrarlandschaft, sind in vielen Gebieten der Rheinebene bereits verschwunden. Der große Brachvogel und der Kiebitz stehen hier vor dem Aussterben und die Bestände des Feldhasen gehen drastisch zurück. Die Insektenvergiftung führt zum Vogelsterben und nicht nur Schwalben hungern.

Besserung ist nicht in Sicht, die monotone Maissteppe und intensive Sonderkulturen dringen immer weiter in die Täler des Schwarzwalds und des Kaiserstuhls vor. Unsere Landwirtschaft konkurriert auf einem globalisierten Agrarmarkt im Rahmen des Freihandels mit Ländern wie Kanada. Eine immer noch erfreulich kleinräumige Landwirtschaft, z.B. in Südbaden, konkurriert auf dem gleichen Markt wie die giftdominierte, großindustrielle Landwirtschaft in den USA. Wenn nur noch der Preis und die Ideologie des „freien Marktes“ zählen, dann haben Insekten, Vögel, Hecken, aber auch die Mehrzahl der Landwirte selber keine Chancen. Die Naturschutzbewegung ist nicht der Feind der Landwirtschaft, sondern die potentiell Verbündete einer naturnäheren, giftärmeren, nachhaltigen und somit auch moderneren und zukunftsorientierten Landwirtschaft.

Auch in südbadischen Gärten wird wieder heftig "gegiftet"
Die aktuelle Buchsbaumzünzler-Bekämpfung in den Gärten wird häufig mit Neonicotinoiden durchgeführt. Zur Zeit gibt es in vielen Gärten wieder richtige "Gift-Orgien" wie in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auch die "Versteinerung" der Gärten nimmt zu.


Einige ausgewählte Problemfelder in Sachen Natur & Naturschutz am Oberrhein und im Schwarzwald

Natur und Naturschutzgebiete
am Oberrhein sind einer immer stärkeren Kommerzialisierung und Verwertung ausgesetzt. Natur ist für viele Lokalpolitiker nur gut, wenn sie auch viel Geld bringt und vermarktbar ist. Das führt zu einer zunehmenden "Verrummelung" der wertvollsten Gebiete. Gerade der Feldberg und das Naturschutzgebiet Taubergießen sind besonders stark betroffen. Der Griff des Europaparks nach dem Taubergießen, die Seilbahnpläne und die Unterwürfigkeit von Behörden und Politik gegenüber dem mächtigen Park zeigen dies überdeutlich.

Wiesen und Weiden
Die beginnende weltweite Energiekrise und der damit verbundene Energiehunger beeinflusst auch die Wiesen und Weiden am Oberrhein. In der Rheinebene wurden immer mehr Wiesen umgebrochen und durch eine Maiswüste für Energiemais ersetzt. Im Schwarzwald werden immer mehr Wiesen totgedüngt, um möglichst viel Gras für die Biogasanlagen zu erzeugen. Dieser Zerstörungsprozess bedroht alle Arten, die lebendige, vielfältige Wiesen brauchen.

Insektensterben, auch in den Naturschutzgebieten am Kaiserstuhl
„Ich untersuche die Tag- und Nachtfalter in der Oberrheinebene seit 30 Jahren regelmäßig und sowohl die Artenzahlen als auch die Faltermengen gehen insgesamt stark zurück. Es fällt auf, dass auch Wiesen, die selbst nicht zerstört wurden, aber in der Agrarlandschaft unmittelbar den Randeinflüssen der gespritzten Kulturen ausgesetzt sind, nur noch von wandernden Faltern besucht werden. Wiesen im Wald sind oft noch nicht so betroffen. Die bunten Wiesen der Hochwasserdämme in der Aue sind vom Wald abgeschirmt und geschützt und darum immer noch Falter-reich. Im Kaiserstuhl haben sich einige Arten nur noch in den windgeschützten Tälern gehalten. Da wundert man sich natürlich nicht, dass neben Schmetterlingen und anderen Insekten auch Singvögel und Fledermäuse selten werden.“ sagt Jörg-Uwe Meineke, Schmetterlingsexperte und ehemaliger Leiter des Referats für Naturschutz und Landschaftspflege im Regierungspräsidium Freiburg

Amphibien
Das globale Amphibiensterben hat auch den Oberrhein erreicht. Die Bestandszahlen einheimischer Amphibien sind rückläufig.

Elz, Dreisam, Glotter, Kinzig, Rench, Schutter...
In der Vergangenheit wurden die meisten Mittel- und Unterläufe unserer Bäche und Flüsse zu geradegestreckten, kanalisierten, naturfernen Kanälen umgebaut. Die landschaftsprägenden Gewässer unserer Heimat könnten durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Dammrückverlegungen, ökologisch aufgewertet, renaturiert und zu grünen Bändern werden, die Rheinauen und Schwarzwald natürlich verbinden. Hier gibt es -auch durch Druck des BUND- erste, kleine Fortschritte, doch leider auch Widerstand gegen sinnvolle Projekte.

Gefährdetes Naturschutzgebiet Taubergießen
Der Oberrheinausbau von 1960–1970 hat das Naturschutzgebiet stark verändert und die Hauptwassermenge wurde zur Stromgewinnung über einen Seitenkanal mit Staustufe abgeführt. Abgetrennt von Rhein und Leopoldskanal lag der Taubergießen jahrzehntelang abgesperrt von der dynamischen Kraft des Hochwassers. Sinnvollerweise wurden an einigen Stellen des Leopoldskanals die Dämme abgesenkt und neue Dynamik kam ins Naturschutzgebiet. Doch politischer Druck hat dazu geführt, dass die Dämme, gegen jede ökologische Vernunft, wieder erhöht wurden.

Debatte von Schein- und Nischenproblemen
In vielen Bereichen werden auch am Oberrhein in Sachen Umwelt & Naturschutz industriegelenkte Schein- und Nischendebatten geführt. Über die jährlich ca. 100.000 von Windrädern getöteten Vögel in Deutschland wird interessengeleitet viel berichtet. Doch alleine an Glasscheiben sterben 18 Millionen Vögel jährlich. Von der Hauptursache des Vogelsterbens, dem giftverursachten Insektensterben, wird mit diesen gut organisierten Nischendebatten gezielt abgelenkt. Der Klimawandel wird das Artensterben massiv beschleunigen und nicht der Ausbau der zukunftsfähigen Energiequellen. Immer mehr "Bürgerinitiativen" verfolgen mit vorgeschobenen Naturschutzargumenten teilweise vollkommen andere Ziele.

Natürlich werden auch am Oberrhein neue Naturschutzgebiete ausgewiesen.
Der 28. November 2013 war ein guter Tag für Natur, Umwelt und Baden Württemberg. Der Landtag von Baden-Württemberg beschloss mit 71 zu 63 Stimmen endlich das Gesetz zur Errichtung eines Nationalparks Schwarzwald. FDP und CDU stimmten gegen Natur und Nationalpark. Gemeinsam mit Sägern, Jägern und Bürgerinitiativen und vorgeschobenen "Naturschutzargumenten" hatten sie den Nationalpark massiv bekämpft.
Doch während kleine Naturschutzgebiete (manchmal) unter öffentlichem Beifall eingeweiht werden, verschwinden gleichzeitig wesentlich größere Flächen unter Beton und Asphalt. Fahren Sie einmal mit offenen Augen auf der B3 von Offenburg nach Freiburg: Es entsteht ein durchgängiger, gesichtsloser Siedlungsbrei. Auf der Gesamtstrecke von 68 km bleiben zwischen 50,3 km Siedlungsflächen nur noch 17,7 km Freiraum.

Gerade auch am Oberrhein gilt: “Der Naturschutz arbeitet am kleinen Detail, die Naturzerstörer arbeiten am großen Ganzen”.

Die Vogelstimmen werden weniger, die
Klingeltöne der Handys nehmen zu.

Es scheint weltweit ein Nivellierungsprinzip zu geben, nach dem die wertvollen, einzigartigen Landschaften so lange vermarktet werden, bis aus Schönheit Mittelmaß (oder weniger) wird.

Nur in wenigen Bereichen am Oberrhein, in Südbaden und im Elsass
gibt es positive Entwicklungen. Wir freuen uns über den erkämpften Nationalpark Nordschwarzwald, die Rückkehr der Lachse und der Biber, die Wildkatzen am Kaiserstuhl und die langsam anlaufenden Renaturierungsmaßnahmen an Elz, Dreisam und Kinzig. Zu den regionalen Gewinnern der vergangenen Jahre gehören auch Bienenfresser, Wiedehopf, Zaunammer, Alpensegler, Storch, Steinkauz, Wanderfalke und Graureiher. Das kompensiert aber nicht ansatzweise die großen Verluste.

Die Hauptprobleme, Flächenverbrauch und die Vergiftung der Natur durch Agrargifte, werden nur in winzigen Nischen symbolhaft angegangen. Viel zu zaghaft werden Naturschutzgebiete ausgewiesen und kleine Teilstücke der kanalisierten Flüsse und Bäche renaturiert. Wir freuen uns, dass 2017 das Biosphärengebiet Schwarzwald von der UNESCO anerkannt wurde. Doch uns ist aufgefallen, dass bei den Feierlichkeiten und den offiziellen Reden das Wort "Natur" fast nicht vorkam.

Zunehmende Verrummelung
bedroht auch die letzten Naturschutzgebiete. Das abschreckendste Beispiel für die Verrummelung naturnaher Gebiete am Oberrhein ist der schönste Berg des Schwarzwaldes, der Feldberg. Der Erholungsdruck nimmt massiv zu und die Feldbergisierung des Schwarzwaldes schreitet voran. Oder besuchen Sie einmal an einem schönen Wochenende das Naturschutzgebiet Taubergießen oder den inneren Kaiserstuhl...

Ordnung & Sauberkeit contra „wilde“ Natur
Bei vielen großen Konfliktthemen im Naturschutz am Oberrhein und im Schwarzwald schimmert immer wieder eine deutsche Urangst hervor. Es ist die große Angst vor Veränderung und Unordnung. Das beginnt im Kleinen, beim sauber auf- und ausgeräumten Garten, in dem kein Vogel mehr einen Brutplatz findet. Es geht weiter mit der auf- und ausgeräumten Kulturlandschaft, wo Hochstammbäume und Hecken in der Maissteppe nichts mehr zu suchen haben. Ein Wald, der sich „ungeplant und nicht von Menschen gesteuert“ verändert, eine neu entstandene Kiesbank nach einem Hochwasser im Taubergießen... solche Veränderungen oder gar „Wildnis“ lösen tiefsitzende Ängste aus. Ein „aufgeräumter, sauberer“ Schwarzwald, versteinert Vorgärten und eine zugemaiste Ebene sind dann die Ergebnisse solchen Denkens.

Um die letzten und wertvollsten Gebiete und Arten zu erhalten
müssten eigentlich immer mehr "Rühr-mich-nicht-an"-Schutzgebiete ausgewiesen werden. Es gibt ein unauflösbares Dilemma zwischen der Notwendigkeit, die bedrohten Arten zu schützen und dem Wunsch, Menschen an die Natur heranzuführen. Ein großes Problem bei zu wenigen naturnahen Gebieten ist die übertriebene Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und damit auch des „Naturerlebens“. Der beginnende Profi-Paddeltourismus in den Rheinauen ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung.

Noch finden sich am Oberrhein einzigartige und wertvolle Naturlandschaften mit seltenen, manchmal stark gefährdeten Tieren und Pflanzen. Dass Wiedehopf, Storch, Smaragdeidechse und Küchenschelle am Oberrhein vorkommen, ist nicht zuletzt das Verdienst ehrenamtlichen Engagements und einer engagierten, politisch leider geschwächten Naturschutzverwaltung. Jahr für Jahr kommen tausende Menschen an den Kaiserstuhl, um den farbenprächtigen Bienenfresser, die Gottesanbeterin und seltene Orchideen zu bewundern.

Wir wollen aufzeigen,
dass Artenvielfalt und Schutz der Natur immer auch dem Menschen nützen. Zersiedelung, Flächenverbrauch, Verlärmung, Monokulturen und Natur- und Umweltzerstörung bedeuten eben nicht nur Verlust von Artenvielfalt, sondern auch Verlust an Lebensqualität. Das Artensterben kann nicht losgelöst von unserer globalen Raubbauwirtschaft betrachtet werden. Wir wollen Vielfalt statt Einfalt und Biodiversität statt Monokultur. Angesichts der Dramatik der Situation dürfen wir uns nicht mit den von der Politik angebotenen Nischen und Spielwiesen zufrieden geben.


Der Naturschutz muss
- nicht nur in Baden und im Elsass -
kreativer und kämpferischer werden!

Unser Dank geht an die Menschen, die sich im Naturschutz engagieren. An Naturschützerinnen und Naturschützer in Verbänden und Vereinen, aber auch in den Naturschutzbehörden. An alle, die mit Sense, Spaten, Rechen, Ziege, Spende, Leserbrief und Computer dazu beitragen, dass die Natur am Oberrhein auch für die Zukunft erhalten bleibt.

Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer
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Eintrag vom: 10.05.2019  




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