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GIVE ME MOOR
Schilfinseln im Riedsee in Bad Wurzach (c) TMBW / Gregor Lengler
 
GIVE ME MOOR
Bad Wurzach hat das größte intakte Hochmoor Mitteleuropas – man kann es beim Wandern, Baden oder Moortreten erleben

Schuhe aus und einfach machen. Barfuß balanciere ich über den Waldboden und die Treppe hinunter zum Tretbecken. Soll ich wirklich? Trau ich mich? Ich sehe den Grund nicht, denn das hier ist kein Kneipp­becken mit eiskaltem, doch klarem Wasser. Hier im Wurzacher Ried in Oberschwaben gibt es mitten in der Landschaft ein rustikales Moortretbecken. Ich hole einmal tief Luft, dann stehe ich mit dem rechten Fuß bis über den Knöchel im Schlamm – Verzeihung: im Moor. Und das ist nicht nur viel kühler, als an diesem Hochsommertag erwartet. Es ist auch viel weicher, angenehmer, wohltuender. Ich drehe ein paar Runden im Storchenschritt. Dann geht’s zum Abspülen in den Bach auf der anderen Seite des Wegs. Das war meine heutige Mutprobe. Und ein sehr angenehmer Ausklang unserer Wanderung durchs Wurzacher Ried.

Das Moor bei Bad Wurzach entstand vor etwa 12.000 Jahren, nach der letzten Eiszeit. Stark vereinfacht gesagt passierte dort Folgendes: Im Wurzacher Becken sorgte die Endmoräne eines Gletschers dafür, dass das Schmelzwasser der umliegenden Hügel nicht mehr abfließen konnte – ein flacher See entstand, der mit der Zeit zum Moor wurde. Denn durch den Sauerstoffmangel im Wasser konnten sich abgestorbene Pflanzen nicht vollständig zersetzen und lagerten sich als Torf am Grund ab – ihr Kohlenstoff wird dort unten gespeichert. Heute ist das Wurzacher Ried eine der bedeutendsten Moorlandschaften in Süddeutschland, ausgezeichnet mit dem Europäischen Diplom für geschützte Gebiete. Man entdeckt es zu Fuß auf wunderschönen Bohlenwegen, in der interaktiven Ausstellung „MOOR EXTREM“ im Naturschutzzentrum von Bad Wurzach – oder man erfährt die wohltuende Wirkung des Moors bei Anwendungen in den Heilbädern Oberschwabens. Am besten verbindet man beides – deshalb das Moortreten – oder man nimmt ein Vollbad.

Heilende Substanzen

Es sprudelt, es blubbert und gluckert, wenn eine der Wannen im „feelMOOR Gesundheits­resort“ in Bad Wurzach vollläuft. Auf 40 Grad wird die Mischung aus Naturmoor und Thermalwasser erwärmt. Weil so ein medizinisches Bad etwas auf den Kreislauf gehen kann, braucht man vorab eine ärztliche Bescheinigung, dass man moortauglich ist. Die warmen Torfsubstanzen versetzen den Körper dann in eine Art künstliches Fieber, sie wirken anti­bakteriell und sollen bei Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfällen, Muskel- und Gelenkerkrankungen Linderung verschaffen. Auf jeden Fall ist ein solches Bad so schweißtreibend wie erholsam. Und die Atmosphäre im „feelMOOR“ stimmt auch. Nach 20 Minuten in der Stille zerfließt man gefühlt, der Körper ist auf Tiefenentspannung programmiert – am besten also verbringt man den restlichen Tag ruhig und relaxt.

Unberührte Natur

Quer durchs menschenhohe Schilf: Die Moorwanderung mit Siegfried Roth, dem Leiter des hiesigen Naturschutzzentrums, startet am kommenden Nachmittag. Er schwärmt über dieses intakte, vor allem vom Regenwasser gespeiste Hochmoor, über den einzigartigen Lebensraum für seltene Vögel und über die Haidgauer Quellseen, auf die wir gerade von einer kleinen Holzplattform im Wasser schauen. Die sind ziemlich flach und unfassbar klar wegen ihres kalkhaltigen, mineralreichen Wassers. Und der Lieblingsort von Roth. Besonders am Wurzacher Ried ist, so der Experte weiter, dass es hier so viele verschiedene Moortypen gibt: Quellmoor, vom Regen abhängiges Hochmoor und von Flüssen geprägte Niedermoorbereiche. Und dass die Naturstimmungen hier draußen so besonders sind – frisch grün im Frühjahr, bunt im Herbst, fast schon mystisch, wenn im Frühwinter die Nebel kommen.

Früher waren Moore für die Menschen nicht nur wegen der dann oftmals zwielichtigen Stimmungen unheimlich. Es waren auch schlicht lebensfeindliche, gefährliche Landstriche. Heute schätzen nicht nur Experten wie Siegfried Roth diese einzigartigen Landschaften. „Ich finde es faszinierend, dass es im Kern dieses Hochmoors Bereiche gibt, in die der Mensch nie eingegriffen hat, wo auch jetzt niemand hinkommt.“ Über diese Zone, die etwa ein Drittel des Rieds ausmacht, ziehen dann seltene Vögel wie Schwarzstörche, Wachtelkönige und Tüpfelsumpfhühner. Wasser speichernde Moose haben sich dort angesiedelt. Und der Sonnentau, der den Stickstoffmangel im Moor ausgleicht, indem er mit seinen klebrigen Blättern Insekten anlockt und nicht mehr freigibt. „Nur wenige, sehr spezialisierte Pflanzenarten können auf diesen sauren Böden überleben“, erzählt Roth weiter und zeigt uns eine der fleischfressenden Pflanzen. Denn natürlich siedeln die Spezialisten schon auch da, wo man mit geführten Touren hinkommt. Und wer das allgegenwärtige Insektensummen ignorieren kann, wer sich davon nicht verrückt machen lässt, der kann auch die Ruhe hier draußen genießen. Kann über abgestorbene Baumstümpfe staunen, die sich aufs Malerischste im Wasser spiegeln. Und dem Wollgras lauschen, das sich leise im Wind wiegt.

Abend am Riedsee

Das Moor lässt uns nicht mehr los, es ist faszinierend, auch im Sommer, auch ganz ohne Nebel. Abends ziehen wir noch einmal allein los, zum Riedsee. Die Sonne steht schon tief, sie färbt die Wolken rosarot und schickt sie zart eingefärbt als Spiegelbilder auf den stillen See. Einige Hufeisenazurjungfern – blaue Libellen – surren knapp über der Oberfläche entlang in Richtung Seerosenteppich, es ist ihr Revier. Zwei Haubentaucher paddeln vorbei. Vögel zwitschern. Das Schilf raschelt. Einfach still stehen auf dem Steg und schweigen. Einfach mal nichts tun. Hier sind wir nur Zuschauer. Und das tut richtig gut.
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Eintrag vom: 08.06.2024  




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