Krüger: Echte Meeres-Schutzgebiete sind Soforthilfe für Klima und bedrohte Arten – Regelung über marine Raumordnung nötig
Berlin/Hamburg, 18.03.2020 – Das Corona-Virus hat auch die Meerespolitik im Griff. Die zweitägige Anhörung des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) zur künftigen Raumordnung in Nord- und Ostsee findet nun per Videokonferenz statt – eine Herausforderung für alle Beteiligten. Festgelegt werden soll, wo künftig Windenergieanlagen entstehen, Rohstoffe abgebaut, sich der Schiffsverkehr vor der Küste konzentrieren soll und wie der Schutz von Arten und Lebensräumen mit den Interessen der maritimen Wirtschaft in Einklang gebracht werden kann. Geregelt werden diese verschiedenen Nutzungsinteressen in der marinen oder maritimen Raumordnung (MRO) – nach Ansicht des NABU bisher mit falscher Zielsetzung.
„Die Vorstellung des endlosen blauen Wachstums ist überholt. Nord- und Ostsee sind an ihrer ökologischen Belastungsgrenze. Angesichts der Klimakrise und des Artensterbens brauchen wir neue Prioritäten für den Interessenausgleich im Meer. Der Schutz von Natur und Klima muss künftig im Zentrum stehen“, so NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.
Zehn Jahre nach Einführung der ersten Raumordnungspläne besteht großer Reformbedarf. Jede dritte Art in Nord- und Ostsee steht inzwischen auf der Roten Liste, sauerstoffarme Todeszonen in der Ostsee wachsen rapide an und Seegraswiesen, die als natürliche Kohlenstoffsenken entscheidend sind im Kampf gegen die Klimakrise, sind in der Nordsee seit 1930 um 90 Prozent zurückgegangen, bedingt durch Eutrophierung und Zerstörung.
„Nord- und Ostsee können uns entscheidend helfen im Kampf gegen die Klimakrise. Als Soforthilfe raten sowohl Weltklima- als auch Weltbiodiversitätsrat die Fläche der Meeresschutzgebiete zu erhöhen und diese effektiv zu managen. Im Management hat Deutschland großen Nachholbedarf. Unsere Meeresschutzgebiete bestehen vor allem auf dem Papier. Sie müssen zu ökologischen Vorrangflächen in der Raumordnung werden“, so Krüger.
Derzeit stehen 45 Prozent der Nord- und Ostsee unter Schutz, im europäischen Natura-2000-Netzwerk. Doch die Ziele, zu denen sie beitragen sollen, werden verfehlt. Der NABU fordert daher, mindestens 50 Prozent der Schutzgebiete komplett nutzungsfrei zu halten, ohne Grundschleppnetze oder den Abbau von Kies und Sand. Zudem müssen zerstörte Lebensräume wiederhergestellt werden, etwa Riffe, Seegraswiesen und Kelpwälder.
Zur laufenden Anhörung hat der NABU eine umfangreiche Stellungnahme eingereicht. Das Fazit: Die Neu-Konzeption birgt Licht und Schatten. Richtig ist nach Ansicht des NABU der zugrundeliegende Ökosystemansatz, ebenso die enge Bindung an die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – das Rahmenwerk des Naturschutzes im Meer. Gleichzeitig jedoch fehlen konkrete Maßnahmen, um den schlechten Umweltzustand beider Meere zu verbessern. Auch fehlen Kriterien und Schwellenwerte, um die ökologischen Belastungsgrenzen zu ermitteln.
„Und der Klima- und Meeresnaturschutz müssen stärker zusammengedacht werden, noch wird in getrennten Szenarien diskutiert: Wir müssen klären, wo der Offshore-Windausbau möglichst schadfrei ist. Die aktuellen Ausbaupläne bis 50 Gigawatt sind nicht naturverträglich machbar. Und wir müssen generell den Fokus darauf lenken, die Stabilität der Meere zu verbessern – dann in gesundem Zustand sind sie als Kohlenstoffsenken die effektivste Klimaschutzmaßnahme“, so NABU-Meeresschutzexperte Kim Detloff.
Hintergrund:
Die Bundesregierung ist über eine europäische Richtlinie zur Maritimen Raumordnung verpflichtet, ihre Raumordnungspläne für Nord- und Ostsee zu überarbeiten. Der durch das BSH mit dem Bundesumweltministerium koordinierte Prozess soll Mitte 2021 abgeschlossen sein. Am 18. und 19. März stehen in Hamburg das erste Konzept und die Inhalte der sogenannten Strategischen Umweltprüfung (SUP) zur Diskussion. Der NABU hat dazu vor wenigen Tagen mit 15 Organisationen aus Meeresschutz- und Entwicklungspolitik ein gemeinsames Forderungspapier veröffentlicht: die Meeresoffensive 2020. |